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Journalisten bespitzelt
Kolumbianischer Geheimdienst überwachte Friedensverhandlungen in Havanna. Auch junge Welt ausspioniert
André Scheer / Mittwoch 19. Februar 2014 / Español
 

Auf den ersten Blick war es ein ganz normales Restaurant, das da in Galerías, einem Stadtviertel im Westen der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá, Mittagessen für umgerechnet zwei Euro anbot. Doch die Reporter des Nachrichtenmagazins Semana wunderten sich darüber, daß die Gaststätte gleich von zwei Wachmännern eines privaten Sicherheitsdienstes beschützt wurde: »Die Sicherheitslage in Bogotá ist nicht die beste, aber es ist auch nicht normal, daß in einem Geschäft dieser Art ein solches Sicherheitsniveau herrscht.«

Tatsächlich war das Restaurant nur die Fassade für ein Spionagezentrum des Militärgeheimdienstes CITEC. Von hier aus wurden Zugangsdaten von Mobiltelefonen und Computern geknackt. Die Spitzel verschafften sich so Einblick in Telefongespräche und Kurznachrichten der Betroffenen. Zu den Ausspionierten gehörte Sergio Jaramillo, Hochkommissar für den Frieden in Kolumbien und Mitglied der Verhandlungsdelegation der Regierung bei den Gesprächen mit der Guerilla in Havanna.

Doch den »Technischen Nachrichtendienst des Heeres« interessierten nicht nur die Gespräche der Delega­tionsteilnehmer. Vor wenigen Tagen enthüllte der US-amerikanische Fernsehsender Univisión, daß die Spitzel auch Mailkontakte zwischen Journalisten und den Vertretern der FARC-Guerilla in Havanna ausgekundschaftet hatten (jW berichtete). Betroffen davon war neben zahlreichen lateinamerikanischen und europäischen Medien auch die junge Welt. Gerardo Reyes, der für den nordamerikanischen Kanal die Enthüllungen verfaßt hatte, konnte uns eine E-Mail vom November 2012 übermitteln, in der jW in Havanna um ein Interview gebeten hatte. Ebenfalls abgefangen wurden Anfragen von dpa und Süddeutscher Zeitung. Die von den FARC-Vertretern zur Kontaktaufnahme angebotene Adresse war eine des US-Internetunternehmens Yahoo.

Nicht nur deshalb geht der in Paris lebende kolumbianische Journalist Hernando Calvo Ospina, der unter anderem für jW mehrere Interviews mit den FARC-Vertretern in Havanna geführt hat, von einer Verwicklung der US-Geheimdienste in die Machenschaften ihrer kolumbianischen Kollegen aus. »Die gesamte Apparatur ist von der CIA in Zusammenarbeit mit den israelischen und britischen Diensten geliefert worden«, sagte er im Gespräch mit junge Welt. »Die hochmoderne Ausrüstung, über die der Militärgeheimdienst in seinem ›Grauen Saal‹ verfügte, ist von der CIA und den Briten finanziert worden, die auch zuerst Zugriff auf die illegal gesammelten Daten hatten und sie erst danach an die kolumbianischen Behörden weitergaben.« Das hatte auch Semana berichtet. Die »Sala Gris« befand sich im Gegensatz zu anderen Einrichtungen der Nachrichtendienste nicht im Bunker der Generalstaatsanwaltschaft in der Avenida La Esperanza, sondern auf einem Militärgelände im Norden von Bogotá.

»Der Vorwand war der Krieg gegen den ›Terrorismus‹, also gegen die Guerillaorganisationen, aber es ist mehrfach nachgewiesen worden, daß das Ziel der Spionage auch politische Oppositionelle, Journalisten, Richter des Obersten Gerichtshofes und sogar die Botschaften von Kuba und Venezuela waren«, erklärte Calvo Ospina. »Die CIA hatte und hat enorme Macht in Kolumbien. Das hat mir gegenüber im vergangenen Jahr ein hoher US-Funktionär eingeräumt. Ihr Operationszentrum in Kolumbien ist eines der größten der Welt und steht in ihrer Botschaft«, so der Journalist, der 1986 vor der Verfolgung in seiner Heimat nach Frankreich flüchten mußte.

Er geht davon aus, daß die Informationen über die Spionageaktionen durch »eine mächtige Gruppe faschistischer Militärs und Zivilisten« an die Medien weitergegeben worden seien, die den Friedensprozeß Kolumbiens sabotieren wollen. »Diese Art von Informationen wird nicht von Journalisten ›entdeckt‹. So etwas wird direkt von den Sicherheitsdiensten oder ›Freunden‹ durchgestochen, die wollen, daß es bekannt wird.«

Von seiten der kolumbianischen Botschaft in Berlin erhielt jW bislang keine Stellungnahme. Unsere Nachfrage, wie ein solches Ausspionieren von Journalisten gerechtfertigt wird, blieb unbeantwortet